Der CEX Trendradar
Der CEX Trendradar 2021
Corona sorgt für mehr Technologie-Silos – CEX Trendradar 2021 zeigt eine neue Notwendigkeit für Strategie und Governance
von Prof. Dr. Nils Hafner und Harald Henn
Pünktlich zum Jahresbeginn veröffentlichen wir unseren CEX Trendradar 2021. Nach der Premiere zu Beginn 2020 haben wir im Lauf des Jahres viele Anregungen erhalten, mit vielen Mitstreitern, Kunden, Analysten diskutiert, Studien herangezogen und eine Prognose für 2021 erstellt. Die Corona Pandemie hat einiges durcheinander gebracht. Manche Entwicklungen hatten wir ursprünglich optimistischer und mit mehr „Drive“ eingeschätzt; vor allem technologisch getriebene Themen haben dagegen deutlich mehr an Dynamik gewonnen als wir gedacht hatten.
1. People: Die konzeptionellen, menschbezogenen Themen stagnieren.
So richtig viel hat sich hier – leider – nicht bewegt. Dass die CX Strategie eine Schlüsselfunktion einnimmt, hatten wir schon vor einem Jahr erwähnt. Solange die Vernetzung mit der Unternehmensstrategie nicht vollzogen wird, bleibt es bei taktischen, operativen Initiativen, die aber in der Organisation selten richtig verankert sind und oft nur toleriert, aber nicht wirklich akzeptiert sind. Wir gehen davon aus, dass es 2021 zwar vorangeht, aber eher zäh. Wobei festzustellen ist, dass in Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle in Teilen oder komplett digitalisiert haben (z.B. e-Commerce als Ergänzung zum stationären Vertrieb) die Erkenntnis für die Notwendigkeit einer CX-Strategie deutlich ausgeprägter ist als in rein analogen oder primär analog betriebenen Geschäftsmodellen. Die Daten und Erkenntnisse aus den digitalen Geschäfts-Modellen sind Treiber für die langfristigen Optimierungen der CX-Strategie.
CX Innovations-Management: Fehlanzeige. Hier ist ein Stillstand, wenn nicht sogar ein Rückschritt zu verzeichnen. Das Bild vom Kaninchen vor der Schlange drängt sich unweigerlich auf. Die in 2020 gestrichenen Entwicklungsbudgets schlagen 2021 leider voll durch. Wie lange der Zustand der Paralyse anhält, lässt sich aktuell schwer abschätzen.
Neu aufgenommen haben wir CX Governance in der Dimension People. Um die Nummerierung des CEX Radars im Vergleich zu 2020 nicht zu verändern, wird dieser Trend in der Grafik als Nummer 5a geführt. Der Governance kommt primär eine koordinierende Rolle zu. Gerade technologisch sind 2020 sprunghaft einzelne CX Inseln entstanden, vor allem im Vertrieb. Infrastruktur zementiert aber organisatorische Silos. Es muss zwingend eine Governance entwickelt werden, wie die einzelnen organisatorischen Verantwortungsbereiche so zusammenarbeiten, dass eine durchgehend differenzierende Customer Experience entstehen kann. Wir beobachten, dass das Bemühen, im Verkauf „Wow Momente“ zu ermöglichen, zur Zeit voll zulasten der Servicebudgets ausgetragen wird. Ohne klare Spielregeln und Commitments entsteht die typische „Vorne Hui und hinten Pfui“-Situation, in der der Brand-Promise-Gap grösser wird und die Kunden scharenweise wegen reihenweise gebrochener Leistungsversprechen im Service zur Konkurrenz abwandern. Dies zwingt Unternehmen aller Branchen zu Prototypen bei der Konzeption einer CX Governance.
2. Process: Etwas mehr Bewegung und vor allem das Bedürfnis nach verlässlich skalierbaren Problemlösungen.
Erfreulich ist die Weiterentwicklung der Value Irritant Matrix als Handlungsanleitung für Unternehmen, die Automatisierungs-Technologien einsetzen wollen – oder müssen. Gerade im E-Commerce prognostizieren wir, dass kein Unternehmen, welches dieses Instrument nicht einsetzt, zu Amazon aufschliessen kann. Für Banken und Versicherungen, Telekommunikationsdienstleister und Logistikunternehmen wird der Einsatz über das Überleben am Markt zu konkurrenzfähigen Preisen entscheiden. Gerade Unternehmen mit Margendruck sollten 2021 hier die Mengengerüste ihrer Kundendialoge erheben und einzelne Prototypen nach der Value Irritant Matrix ausrichten.
Gefährlich wird 2021 die Stagnation beim Thema Omnichannel. Gefährlich deshalb, weil die Unternehmen massiv in Technologien wie z.B. Instant Messaging oder textbasierte Chats investiert haben, gleichzeitig aber die notwendige Vernetzung der Technologien für konsistente und durchgängige Kundenreisen nicht stattgefunden hat. Statt vier oder fünf unterschiedliche Kanäle, die bedient werden, sind es nach diesem furchtbaren Corona-Jahr nun sieben, acht und mehr, die isoliert nebeneinander existieren und die zudem noch in unterschiedlichen Organisationseinheiten betreut und verantwortet werden. Das ist sogar verständlich: Die Abteilungen Vertrieb, Marketing und Service haben aufgrund der extremen Herausforderung, den Kontakt zu Interessenten und Kunden aufrecht zu erhalten, schnell Systeme am Markt beschafft, die ein einzelnes Problem in einer einzelnen Abteilung lösen. Sehr deutlich zu beobachten bei Versicherungen, bei denen der Aussendienst keine Möglichkeit mehr hatte, Termine bei Interessenten zu vereinbaren und wahrzunehmen. Hier haben Lösungen, die eine integrierte Terminvereinbarung, Videoberatungen, Authentifizierung und digitale Signatur für einen rechtssicheren Abschluss anbieten, einen regelrechten Boom erlebt. Für den Vertrieb natürlich eine praktikable Lösung. Da die Kundenreise aber weder im Vertrieb beginnt noch dort endet, wird die notwendige Koordination und das Design der durchgängigen End-to-End Journey aber dann doch später noch erfolgen müssen. Wohl erst ab 2022. Bis dahin werden das jedoch einige Kunden gemerkt und ihre Konsequenzen gezogen haben.
Die „Aufrüstung“ auf der Vertriebs- und Marketingseite hat die verstärkte Implementierung von Customer Service Lösungen vorangetrieben. Hier ist die Entwicklung deutlich schneller vorangeschritten als ursprünglich von uns prognostiziert. Wir haben uns zudem entscheiden die Begrifflichkeiten zu ändern. Den ursprünglich etwas enger gefassten Begriff Service Ticketing haben wir in Service Cloud geändert. Dies spiegelt die Entwicklung wesentlich besser wider. Denn oftmals ist bei einem Wachstum der Servicekontakte um den Faktor fünf bis zehn eine cloudbasierte Infrastruktur die einzige Möglichkeit, um nur halbwegs zeitnah mit den Kundenansprüchen Schritt zu halten. Die Vernetzung mit Vertrieb und Marketing stagniert, hier muss prozessual (Omnichannel) wie auch organisatorisch (CX Governance) dringend nachgearbeitet werden. Viele Unternehmen scheinen uns leider nach wie vor auf der Stufe der unbewussten Inkompetenz. Das erklärt den enormen Spread dieses Themas.
3. Technology: Hier spielt in Corona-Zeiten enorm die Musik – ein CX Dirigent fehlt jedoch allenthalben
Eine zum Teil sehr dynamische Entwicklung ist in diesem Bereich zu verzeichnen. Diese setzt sich auch in 2021 fort. Es sind drei Technologien, die in unserem CEX-Trendradar für die grössten Veränderungen sorgen: Instant Messenger/textbasierte Bots, NLP/digitale Assistenten und Augmented Reality. Alle drei sind AI-basiert und weisen Gemeinsamkeiten auf, die für die Verschiebung in unserem Reifegradmodell verantwortlich sind. Einige Kommunikationswege wurden in der Pandemie schlicht unpassierbar. Niederlassungen, Filialen, Geschäfte mussten zeitweise schliessen. Die Verbindung der Kunden mit den Unternehmen in der gewohnten Art und Weise war unterbrochen. Zwangsweise haben sich neue Technologien als Ersatz durchgesetzt.
Gesamthaft sind wir der Ansicht, dass zum Thema Customer Experience die operative Hektik 2020 sprunghaft höher geworden ist und dieser Trend auch 2021 anhält. Die bspw. durch technische Errungenschaften angestrebten Vorteile sind jedoch – wenn überhaupt – nur kurzfristiger Natur. Eine durchgehende differenzierende Kundenerfahrung ist nur bei wenigen Unternehmen erkennbar. Grund dafür ist, dass Themen wie Strategie, Innovation, Governance und Omnichannel, die richtungsgebende und koordinierende Funktion haben, komplett auf der Strecke bleiben und dem kurzfristigen Verkaufen, aber auch in einigen Branchen dem Überleben geopfert werden (müssen).
*Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für den Aufbau und die Entwicklung langfristiger Kundenbeziehungen und Professor an der Hochschule Luzern. Harald Henn ist Geschäftsführer der Marketing Resultant GmbH in Mainz, Deutschland.
Den vollständigen Trendbericht erhalten Sie auf den Blogs der Autoren hafneroncrm.blogspot.ch und https://marketing-resultant.de/blog-digitaler-kundenservice-call-center-und-crm/
Interview mit Harald Henn (Der CEX-Trendradar – Das Interview – Teil 1)
Mehr zu diesem Thema finden Sie im Webinar am 24.02.2021 – jetzt reinklicken:
https://cx-dialog.b2match.io/
Interview mit Nils Hafner (Der CEX-Trendradar – Das Interview – Teil 2)
Mehr zu diesem Thema finden Sie im Webinar am 24.02.2021 – jetzt reinklicken:
https://cx-dialog.b2match.io/
Der CEX Trendradar 2020
Der CEX Trendradar 2020 ist eine gemeinsame Entwicklung von Prof. Dr. Nils Hafner, Hochschule Luzern und Harald Henn, Marketing Resultant. Der CEX Trendradar basiert auf Interviews mit internationalen Technologie-, CX- und Finanz-Experten, Forschern an Hochschulen und Zukunftsinstituten, öffentlichen Studien und vor allem auch eigenen Projekterfahrungen. Aus der Vielzahl von Trends haben wir die wichtigsten Technologien und Instrumente nach ihrer aktuellen Relevanz für das Customer Experience Management priorisiert.
Der CEX-Trendradar 2020 bietet eine Trendübersicht für alle relevanten CEX-Trends aufgeteilt auf die Bereiche People, Process und Technology. Er ist also eine schnell erfassbare Übersicht für Entscheider. Damit löst er die CRM Jahrestrends von „Hafner on CRM“ und die Trendbeobachtungen von Marketing Resultant als ein gebündeltes und weiterentwickeltes Instrument der Entscheidungsunterstützung ab.
Aus der Vielzahl von Trends haben wir die wichtigsten Technologien und Instrumente mit der ihrer aktuellen Relevanz für das Customer Experience Management herauskristallisiert. Diese Liste wurde priorisiert und im Trendradar aufbereitet und beschrieben. Das CEX-Trendradar wird jährlich fortgeschrieben und bildet somit eine fundierte Entscheidungsgrundlage für Customer Experience Management Verantwortliche.
Die CEX Trends haben wir in die folgenden aus dem Customer Relationship Management seit Jahren bekannten drei Dimensionen unterteilt:
People
Process
Technology
Dabei beurteilen und schätzen wir für jeden Trend den Reifegrad für jeden der o.a. Bereiche ein. Wir unterscheiden dabei fünf Reifegrade und damit Phasen der Marktdurchsetzung dieses Trends.
Harald Henn – Marketing Resultant