Virtual Beings und Virtuelle Influencer etablieren sich im Marketing
Prof. Dr. Andreas WagenerQuelle: nerdwaerts-de.cdn.ampproject.org
Virtual Beings – virtuelle Lebewesen – die durch den Einsatz von KI und ausgefeilter Computergrafik entstehen, erobern das Netz. Sie interagieren überzeugend mit den menschlichen Nutzern und sind am Bildschirm optisch von diesen kaum zu unterscheiden. Gerade im Marketing, bei virtuellen Influencern, ist die Entwicklung besonders weit vorangeschritten.
Die technisch rasant fortschreitende Entwicklung der Computergrafik in Kombination mit KI und Deep Learning ermöglicht immer realistischere Abbildungen der Realität in der digitalen und virtuellen Sphäre – und zwar auch abseits von „Deepfakes“ und künstlich erzeugten Fotos (von Dingen, die nicht existieren).
Tatsächlich sprechen wir inzwischen nicht mehr nur von virtuellen Realitäten, sondern auch von virtuellen Lebewesen, sogenannten „Virtual Beings“, die dort existieren können. Diese besitzen die Fähigkeit zur Interaktion mit dem menschlichen Nutzer und sind in der Regel ausgestattet mit einem “realistischen” Antlitz – all das basierend auf KI und hochentwickelter 3D-Grafik.
Virtual Beings als virtuelle Influencer
Die Einsatzbereiche derartiger Virtual Beings sind vielfältig. Naheliegend ist ihre Einbindung in Computerspielen, als Spielpartner oder Avatar. Denkbar wäre auch eine „virtuelle Assistenz“, zur Unterstützung bei täglichen Arbeitsabläufen, oder in der Bildung, als virtueller Lehrer. Am weitesten vorangeschritten ist die Entwicklung jedoch im Social Media Umfeld, wo sich immer mehr “Virtuelle Influencer” etablieren.
Ein Beispiel hierfür ist das virtuelle „Supermodel“ Shudu: Shudu präsentiert sich auf ihrem Instagram-Kanal meist in Haute-Couture und ist auch ansonsten höchst professionell in Szene gesetzt. Mehr als 200.000 folgen den regelmäßigen Foto-Updates. Im Gegenzug fließen Werbegelder von den Mode- und Kosmetikfirmen an ihren Schöpfer, den britischen Fotografen und Multimedia Designer Cameron James Wilson.
“Shitstorms” wie “echte” Influencer
Prominentester Vertreter dieser digitalen Spezies ist derzeit wohl Miquela Sousa, genannt„Lil’Miquela“. mehr als 1,8 Mio. Follower verzeichnet ihr Instagram-Profil, sie verfügt über einen Youtube-Kanal auf dem sie in regelmäßigen Abständen ihre Songs, die teilweise mehrere Millionen Abrufe aufweisen, präsentiert. Und ansonsten tut sie das, was ein Influencer gemeinhin eben so tut: Sie trifft sich mit Freunden, macht Selfies, teilt ihre Spotify-Playlist – und verdient Geld mit Product Placement. Allein: Lil’Miquela existiert nur in der virtuellen Welt. Zwar führt sie auf ihren Kanälen Interviews mit echten, natürlichen Menschen, ihre Freunde auf den Fotos existieren – im Gegensatz zu ihr selbst – auch in der analogen Wirklichkeit. Vor einiger Zeit sorgte sie für einen kleineren Shitstorm in der LGBTQ-Community als sie medienwirksam zu Werbezwecken (die real existierende) Bella Hadid intensiv auf den Mund küsste, die, ebensowenig wie Lil’Miquela selbst, bis dato als besonders queer in Erscheinung getreten war. Beiden – wie auch Auftraggeber Calvin Klein – brachte dies den Vorwurf der „lezploitation“ oder zumindest des allzu plumpen „queerbaitings“ ein.
Hinter Lil’Miquela steckt eine Agentur, die deren ausschließliche digitale Existenz in den ersten beiden Jahren im Verborgenen hielt. Auch wenn zu Beginn die grafische Umsetzung noch nicht dem heutigen Stand der Technik entsprach, war vielen Fans lange nicht bewusst, dass es sich bei ihr nicht um ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut handelte.
Auch große Unternehmen wie KFC setzen auf virtuelle Influencer
Auch die Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken setzt auf Virtual Beings. Deren kommunikatorische Leitfigur, der Gründer „Colonel Sanders“, erfuhr eine digitale Rundumerneuerung zum Geflügel-Hipster, inklusive Tatoos und Waschbrettbauch. Als virtueller Markenrepräsentant jettet er um den Globus, lässt sich photogeshopped bei den (analogen) Eröffnungen neuer Restaurants ablichten und postet Selfies auf den eigenen Social Media Kanälen. Eine ganze Markenwelt entsteht somit um den virtuellen Unternehmensgründer herum. Ständig gefüttert mit neuen Aktivitäten und angefeuert durch die Interaktion mit seinen natürlichen Followern und Fans.
Verfügen virtuelle Influencer über Authentizität?
Natürlich stellt sich in diesem Kontext immer wieder die Frage nach der Authentizität, die ja das rein menschliche Influencer Marketing so besonders machen soll. Bislang scheint dies hier nur eine begrenzte Rolle zu spielen. Obwohl den meisten die Künstlichkeit der Protagonisten inzwischen klar sein dürfte, erfreuen sich die Profile der virtuellen Influencer einer ungebrochenen Attraktivität und Aufmerksamkeit. Die Grenze zwischen virtueller und natürlicher Welt verwischt damit zunehmend. Was echt und was künstlich ist, verliert offenbar immer mehr an Bedeutung. vielleicht spiegelt sich darin auch der gesellschaftliche Rahmen wider, in dem wir uns derzeit bewegen: Wo Fakenews und Filterblasen zumindest als Gegenstand der öffentlichen Diskussion an Einfluss gewinnen, stellen „Echtheit“ und Unverfälschtheit vielleicht nicht mehr notwendigerweise einen Maßstab dar – auch nicht im Influencer Marketing.