Der digitalen Welt droht eine Krise
Thomas Schürpf | Neue Zürcher Zeitung
Das Internet prägt zunehmend den Lebensalltag. Derzeit hat die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang dazu. Doch das Wachstum stockt. Das Weltwirtschaftsforum spricht von einer alarmierenden Vertrauenskrise.
Dreissig Jahre nach der Erfindung des World Wide Web (WWW) hat das Internet die Hälfte der Weltbevölkerung erreicht. Die Schwankungen um den Durchschnittswert von 50% sind allerdings enorm. Während in Europa 80% der Einwohner einen Internetzugang haben, sind es in Afrika lediglich 22%. Die Gründe für die grossen Lücken im Netz sind vielfältig. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) nennt in der am Montag publizierten Studie «Our shared digital future» beispielsweise Unterschiede in Geografie, Geschlecht oder Alter. Auch das Einkommen spiele eine grosse Rolle, viele könnten sich das Internet schlicht nicht leisten. Für mehr als 2 Mrd. Menschen mache der Preis für Mobilfunkdaten von 1 GB mehr als 2% des Monatsverdienstes aus.
Grosse Unterschiede im Internet-Zugang
Da die Digitalisierung immer mehr auch den Lebensalltag präge, sei der Handlungsbedarf dringend, schreiben die Autoren. Zumal die Menge an anfallenden Daten exponentiell wachse. Bis 2020 werden weltweit mehr als 20 Mrd. verbundene Geräte erwartet. Bis 2022 dürfte die digitale Wirtschaft auf einen Wert von rund 60% des globalen Bruttoinlandprodukts kommen.
Die vierte industrielle Revolution habe die Macht, weltweit Ungleichheiten abzubauen. Voraussetzung sei aber, dass alle teilnehmen könnten. Es gehe darum, eine vertrauensvolle, nachhaltige und für alle zugängliche digitale Welt sicherzustellen, schreiben die Autoren. Andernfalls drohe eine ernste Krise.
Alarmierende Verlangsamung
Als besonders alarmierend werten die Autoren die deutliche Verlangsamung des Wachstums in den vergangenen Jahren. Sei die Zahl der Internetnutzer im Jahr 2007 noch um 17% gewachsen, betrage die Wachstumsrate im Jahr 2018 nur noch 5,5 Prozent.
Um möglichst viele Menschen der momentan internetlosen Hälfte der Weltbevölkerung ins Netz einzubeziehen, müssten Staaten und multilaterale Organisationen ihre Anstrengungen in den Ausbau der Infrastruktur praktisch verdoppeln, heisst es in der WEF-Studie.
Ein entscheidendes Problem ist das Fehlen einer Identität, mit der man sich im Internet ausweisen muss, beispielsweise um Rechnungen zu begleichen. Rund 1 Mrd. Menschen sei von der digitalen Welt ausgeschlossen, weil die Betroffenen keinen Pass, keine feste Adresse oder keine Kreditkarte hätten. Gute und sichere Identitätslösungen seien ein Schlüssel für die weitere Ausbreitung des Internets, heisst es im Bericht dazu. Die WEF-Studie rechnet damit, dass bis 2022 rund 150 Mio. Menschen einen Blockchain-basierten Identitätsnachweis haben werden.
Fehlendes Vertrauen
Genauso wichtig sei es aber, die gesellschaftliche Akzeptanz und das Vertrauen in die Technologie zu stärken. Die WEF-Studie weist dabei auf eine 2018 von der britischen Kommunikationsagentur Dentsu Aegis lancierte Umfrage unter weltweit 20 000 Personen hin. Diese kam zum Schluss, dass mehr als die Hälfte der Menschen nicht daran glaubt, dass die Technologie ihr Leben verbessern kann. 43% der Befragten waren zudem der Meinung, dass die Technologie die Gesellschaft ungleicher gemacht hat. Die Studie weist in diesem Zusammenhang auch auf das Doppelgesicht der sozialen Netzwerke hin. Diese könnten Menschen einander näherbringen, sie könnten die Gesellschaften aber genauso polarisieren oder persönliche Daten missbrauchen. Es bedürfe grosser Anstrengungen und weiterer Innovationen, um die Nutzung von Daten mit dem Schutz der Privatsphäre in ein Gleichgewicht zu bringen.
Wachsende Sicherheitsgefahren
Schliesslich weisen die Autoren auch auf zunehmende Sicherheitsprobleme hin. Cyberattacken verursachten der globalen Wirtschaft jährlich einen Schaden in der Höhe von bis zu 400 Mrd. $. Mehr als 4,5 Mrd. Datensätze seien allein in der ersten Hälfte 2018 von Schadsoftware attackiert worden, 2017 seien es noch 2,7 Mrd. Daten gewesen.
Quelle: nzz.ch