«Bei der Datenqualität gibt es Luft nach oben»
Tobie Witzig, AZ Direct AG und Qmart AGHerr Witzig, welchen Stellenwert haben Daten im heutigen Verkaufsprozess?
Leider nicht einen so hohen, wie sie haben sollten. Studien, unter anderem von der ZHAW, zeigen regelmässig, dass es hinsichtlich der Datenqualität noch viel Luft nach oben gibt. Logisch ist eine kontinuierliche Datenpflege aufwendig, aber der Aufwand lohnt sich. Denn schlechte Daten entfalten ihre Wirkung auf unterschiedlichen Ebenen:
- Sie führen zu falschen Entscheidungen, weil sie nicht belastbar sind.
- Sie sorgen für Ärger und Frustration bei potenziellen und bestehenden Kunden sowie bei Mitarbeitenden.
- Sie beinhalten die Gefahr von unbeabsichtigten Compliance-Verstössen.
- Der Aufwand, schlechte Daten unregelmässig auf Vordermann zu bringen, ist um ein Vielfaches höher als die laufende Pflege.
Alles in allem geht schlechte Datenqualität richtig ins Geld. Gemäss einer Schätzung von IBM kosteten sie die USA im Jahr 2016 16 Prozent ihres BIP. Und Thomas C. Redman, Präsident der Navesink Consulting Group, schätzt, dass rund 8 bis 12 Prozent des operativen Unternehmensgewinns durch schlechte Daten vernichtet werden. Spannend ist die Tatsache, dass sich vermutlich jeder Unternehmer bewusst ist, wie wichtig eine hohe Datenqualität ist – und dass die Pflege trotzdem oft viel zu kurz kommt.
Welche Bedeutung haben Daten und Analysen beim Verkaufsprozess?
Qualitativ einwandfreie und intelligent verknüpfte Daten sorgen für einen effizienten und effektiven Verkaufsprozess. Das beginnt bei der Neukundengewinnung und dort bei der klassischen Frage nach der idealen Zielgruppe. Die Antwort liefert die Analyse des Kundenstamms. Dazu werden die eigenen Transaktionsdaten mit denjenigen eines auf Marktdaten spezialisierten Unternehmens verbunden (Third-Party Data) und daraufhin auf Muster analysiert: Wie alt ist mein typischer Kunde? Wie sieht sein Einkommen aus und die Wohnlage? Wie viele Mitglieder umfasst der Haushalt? Und vieles andere mehr. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Analyse wird die Zielgruppe gebildet. Sie besteht idealerweise aus statistischen Zwillingen der besten Kunden, da bei ihnen die Chance am höchsten ist, dass sie unserem Angebot gegenüber offen sind.
Analysen eignen sich ebenfalls dazu, Kunden zu segmentieren, herauszufinden, wer sich entwickeln lässt, wer gegenüber Crossund Up-Selling offen ist, wer abzuspringen droht. Kurz: Sie liefern Resultate für jeden Punkt des Customer Life Cycle.
Auch hinsichtlich der Kommunikation liefern Analysen wichtige Grundlagen, zum Beispiel um Personas zu bilden. Um Kommunikationsmittel so zu gestalten, dass sie das Zielpublikum auch ansprechen. Eine bodenständige, auf Sicherheit bedachte Person will anders abgeholt werden als ein hedonistischer Abenteurer. Und sie ist vielleicht auch nicht über dieselben Kanäle erreichbar. Genau in diesem Bereich kommen psychografische und verhaltensorientierte Daten zum Zug. Weil sie die Kundensicht über die Soziodemografie hinaus um wichtige Dimensionen erweitern.
Gibt es auch Nachteile?
Die Schwächen einer rein soziodemografischen Zielgruppenbildung zeigt der Vergleich von Prinz Charles, Prince of Wales, und Ozzy Osbourne, dem Prince of Darkness: Beide haben Jahrgang 1948, sind verheiratet, haben Kinder, bewegen sich in der höchsten Einkommens- und Vermögensklasse und sind Wohneigentümer an gehobener Wohnlage. Ansprechen würde ich die beiden niemals auf dieselbe Weise. Alles in allem geht es um dieselben Themen wie schon immer: die richtige Person mit der richtigen Botschaft zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Kanal anzusprechen. Das hat sich nicht geändert – die Komplexität schon.
Welchen Stellenwert hat der persönliche Kontakt in einer digitalisierten Welt?
Nach wie vor ist der persönliche Kontakt in vielen Branchen etwas vom Wichtigsten im Verkaufsprozess. Vollständige und richtige Daten über den Kunden oder Prospect unterstützen Aussen- und Innendienst und erhöhen die Chance für einen Verkaufsabschluss. Hier geht es um den Zugriff auf Fakten, die einem eine Gesamtsicht über das On- und Offline-Verhalten liefern: Was wurde schon offeriert? Was hat der Kunde bereits gekauft? Gab es Reklamationen? War er im Onlineshop, und liegt eine offene Bestellung im Warenkorb? Welche Interessen hat er durch Klicks in einem Newsletter gezeigt? In der Summe helfen diese Daten und Informationen dabei, vom Gegenüber als kompetent und persönlich interessiert wahrgenommen zu werden – und schon ist der Abschluss in greifbarer Nähe.
Inwiefern hat sich die Situation durch die Pandemie verändert?
Der stationäre Handel hat stark gelitten – der Onlinehandel massiv zugelegt. Gemäss der aktuellen GfK-Studie zum Onlinehandelsmarkt haben die Onlineumsätze im Jahr 2020 um mehr als 27 Prozent zugelegt. In den Jahren zuvor lag das Wachstum durchschnittlich unter 10 Prozent. Die Inland-Einkäufe auf .ch-Domains sind sogar um 32,5 Prozent gewachsen. Wer seine Kunden vor allem online gewinnt und betreut, kommt an Data-driven Marketing kaum vorbei, besonders dann, wenn ein Onlineshop eine gewisse Grösse erreicht hat und die Umsätze weiterhin wachsen sollen. Selbstredend spielen auch hier Daten im Verkaufsprozess eine ausschlaggebende Rolle. Und diese müssen auf intelligente und automatisierte Weise verknüpft sein. Dazu gehören Transaktionsdaten des Unternehmens, Daten über das Verhalten des Users auf der Website und Third-Party-Data, um dank zusätzlicher Informationen mehr Umsatz zu generieren. Zu Letzterem ein Beispiel aus dem Bereich Cross Selling: Ein User interessiert sich im Onlineshop für eine digitale Spiegelreflex-Kamera. Was soll der Betreiber ihm zusätzlich anbieten? Ein teures Teleobjektiv? Oder eine günstige Kameratasche? Ohne Third-Party-Daten wird der Entscheid schwierig – ausser der User hat sich bereits das eine oder andere im Shop angeschaut und wurde dabei getrackt.
Was bedeutet das?
Hat der Onlineshop allerdings eine Verbindung zu Marktdaten Dritter, lassen sich diese Informationen in Echtzeit nutzen. Ist der User zum Beispiel Mitte vierzig und gehört zu einer hohen Einkommensstufe, kommt das Teleobjektiv zum Zug. Anders beim User Anfang zwanzig, da würde ich auf die Kameratasche setzen.
In der Kommunikation hat die Pandemie ebenfalls für einen Digitalisierungsschub gesorgt. Gerade im Business-to-Business-Bereich werden viele Offline-Kampagnen in die Onlinewelt verlagert. Schliesslich nützt es nichts, ein Mailing ins Office zu senden, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung von zu Hause aus arbeitet.
Da kommen etwa Datenbrücken zum Zug: Wenn von einem Empfänger die Post- wie auch die E-Mail-Adresse bekannt sind, erreicht man ihn direkt per E-Mail-Newsletter. Zusätzlich dienen E-Mail-Kontakte als Brücken zu Linkedin, das heisst, dieselbe Person, und nicht nur dieselbe Zielgruppe, lässt sich per E-Mail und in den sozialen Medien ansprechen.
Wie hält man Adressdaten aktuell?
Am besten macht man dies schon von Anfang an. Und zwar wegen der 1-10-100-Regel. Diese besagt, vereinfacht ausgedrückt:
- · Es kostet einen Franken pro Datensatz, die Daten gleich beim oder unmittelbar nach dem Erfassen zu verifizieren.
- · Es kostet 10 Franken pro Datensatz, wenn dieser schlecht ist und irgendwann bereinigt werden muss.
- · Es kostet 100 Franken pro Datensatz, wenn dieser schlecht ist und nie bereinigt wird.
Um Daten gleich bei der Eingabe zu prüfen, gibt es Eingabeassistenten, die dem User das Erfassen von Adressen massiv erleichtern. Der Vorteil: Fehler werden minimiert, die Conversion erhöht und Scherereien bei der Lieferung vermieden. Eine weitere Möglichkeit ist die automatisierte Prüfung und allfällige Korrektur der Adresse unmittelbar nach der Eingabe. Das kann per Einzelsatzabfrage oder per Massenverarbeitung im Batch-Verfahren laufen.
So oder so lohnt sich ein regelmässiger Adressabgleich über ein spezialisiertes Unternehmen. Da werden Adressen korrigiert, veraltete Adressen nach Möglichkeit aktualisiert und nicht mehr zustellbare Adressen und Dubletten gelöscht. Bedenkt man, dass im Durchschnitt pro Jahr jeder elfte Haushalt umzieht, dass es rund 40 000 Eheschliessungen, 17 000 Scheidungen und 67 000 Todesfälle gibt, zeigt dies, wie sinnvoll es ist, Adressdaten aktuell zu halten. In einem vernünftigen Rahmen lässt sich diese Dynamik nur mit externen Referenzdaten handhaben.
Generell muss die Datenhaltung und -pflege auf einer klaren Strategie und einem davon abgeleiteten Datenkonzept basieren, es braucht ein klares Bekenntnis über alle Bereiche und Hierarchiestufen hinweg. Der Trend geht dahin, spezialisierte Tools zu haben, die alle Daten enthalten. Eine 360-Grad-Sicht auf den Kunden wird dadurch immer schwieriger. Der Aufbau eines zentralen Datenhubs mit zentralen Referenzdaten stellt diese Rundumsicht wieder her – und ist gleichzeitig das Herz der Marketing-Automation und des Data-based Marketing.
Zur Strategie gehört selbstredend nicht nur das Erarbeiten von Prozessen, sondern vor allem auch die Definition, wo und wozu Daten genutzt werden und welche Daten überhaupt von Nutzen sind. Daten sammeln, um des Sammelns willen, ist nicht zielführend.
Sie haben einmal geschrieben, dass das Data-based Marketing der Schlüssel zum Kundendialog sei. Was meinen Sie damit konkret?
Im Moment findet eine Verlagerung vom Kampagnendenken zum Prozessdenken statt und damit eine Industrialisierung der Marketingprozesse. Das heisst, ich bespiele mein Zielpublikum nicht mehr mit in sich geschlossenen Kampagnen mit einem klaren Anfang und Ende, sondern in einem fortlaufenden Prozess. Dieser beruht auf dem Zusammenspiel unterschiedlichster Daten, die die Triggerpunkte liefern, um mit dem User in Dialog zu treten. Erfolgreiche Unternehmen generieren so bereits 50 Prozent ihres Umsatzes. Die Kommunikation muss gestützt auf die Daten hochindividuell erfolgen und keinesfalls generisch. Als Konsument will ich mich als Individuum persönlich angesprochen fühlen, mit Inhalten, die für mich relevant sind. Dann bin ich bereit, mit einem Unternehmen in Dialog zu treten. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um einen Klassiker der Kommunikation. Aber erst jetzt – dank Marketing-Automation-Lösungen und Datenverarbeitung in Echtzeit – wird dieser Klassiker auch realisierbar. Basierend auf Triggern, Scores und Algorithmen, sind wir endlich bei dem One-to-one-Marketing angelangt, das den Namen auch verdient.