Verantwortung und Nachhaltigkeit ins Digitale gebracht
Roger Eric Gisi ist Gründer und Betreiber der Experten- und Marktplattform ‘Digitale Schweiz’Quelle: ictk.ch
Wie ist es in der Schweiz um die Digitalisierung bestellt, wo liegen die Hürden und was muss geschehen, um diese zu überwinden und ist denn Digitalisierung auch nachhaltig: Solchen Fragenkomplexen geht Roger Eric Gisi, Betreiber der Experten- und Marktplattform “Digitale Schweiz”, im nachfolgenden Interview nach.
Der digitale Wandel schreitet weiter voran. Doch nicht überall ist das Tempo gleich hoch: Während auf der einen Seite alles “smarter” und “intelligenter” wird, ticken die Uhren in anderen Bereichen noch anders. Dass etwa das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Informationen noch per Fax übermittelt, ist mittlerweile legendär geworden. Fachverbände und Interessengruppen aller Couleur haben sich aber vorgenommen, die digitale Transformation weiter zu demokratisieren. Ein Stichwort, das dabei immer häufiger auftaucht: Digitale Nachhaltigkeit.
ICTkommunikation: Was muss man unter “Digitaler Nachhaltigkeit” grundsätzlich verstehen?
Roger E. Gisi: Nachhaltigkeit muss natürlich auch für die Digitalisierung gelten. Als Handlungsprinzip in der Digitalisierung muss diese in jeder Digitalisierungsstrategie einen gewichtigen Teil darstellen. Nur schon die Frage nach einer dauerhaften Bedürfnisbefriedigung wird leider gänzlich ausser Acht gelassen. Oder, positiv formuliert: Jedes Unternehmen, der Staat, die Kantone und Gemeinden, jede Organisation braucht eine umfassende Strategie zur Digitalisierung. Sie muss alle Kunden als Unternehmen und als Menschen, jeden Bürger, alle Akteure der gesamten digitalen Wertschöpfungskette mit einbeziehen. Denn alle müssen diese Digitalisierung aushalten und ertragen, und zwar eben dauerhaft und nachhaltig, und so unterstützen.
ICTkommunikation: Wann ist denn nun ein Unternehmen, eine Organisation “digital nachhaltig unterwegs”?
Roger E. Gisi: Die Digitalisierung erfordert eine Reorganisation der gesamten Aufbau-Organisation, aller Prozesse, und das nicht nur von innen betrachtet. Die Bereitschaft und der Grad der Digitalisierung lässt sich oft im Organigramm ablesen. Eine vollumfängliche und konsequente Transformation des Prozesses in der Gesamtheit erfolgt – ich betone: heute – noch in den wenigsten Organisationen. Oft werden nur die wertschöpfenden Kernprozesse berücksichtigt. In den meisten Organisationen, in denen digitale Transformation mit Hilfe von Projektaufträgen abgewickelt wird, versandet die Bereitschaft einer kontinuierlichen Ausrichtung auf diesen Megatrend im Zeitablauf. Denn, wer kümmert sich nach Projektende um diesen halbherzigen Transformationsversuch? Wo sind die spezifischen Massnahmen, welche die Digitalisierung zur Chefsache machen, eben fortwährend und für alle Unternehmensbereiche und -Beziehungen?
ICTkommunikation: Ja, – wo sind sie?
Roger E. Gisi: Weder Transformation noch Digitalisierung sind neu; es geht hier nur um die konsequente Fortsetzung der Industrialisierung und der technologischen Machbarkeiten – allerdings mit höherem Tempo und in einer globalisierten Welt. Praktisch alles wird mit allem vernetzt. Und dies ist seit nun bald fünfzehn Jahren zu einem Mega- und Zukunftstrend angewachsen.
Was ich damit sagen will: Es führt kein Weg daran vorbei, weder für den kleinen Handelsbetrieb, den Handwerker, die Bäckerei, noch den Hotel- und Gastrobetrieb oder für das internationale Industrieunternehmen. Der Lösungsansatz liegt in der Veränderungsbereitschaft der Menschen, denn die Digitalisierung beginnt im Kopf, dann beim Unternehmen. Dass sie sowohl Ängste als auch Chancen auslöst, ist bekannt. Also – besser heute schon umstellen, diesen Change einleiten, damit Unternehmen und Organisationen umso früher bereit sind.
Aber wichtig ist, dass der Kundennutzen und nicht die Technologie im Vordergrund stehen. Es geht also darum, wie wir die heutigen technologischen Möglichkeiten, über die Vernetzung, in Nutzen umwandeln. Dazu braucht es einen grossen Erfahrungsaustausch unter allen im gesamten Wertschöpfungsprozess bis hin eben zu den Bürgerinnen und Bürger, in ihrem Haushalt und mit allen Verbindungen in diesem Kreislauf. Es braucht dazu konkrete Angebote, im Sinne einer digitalen Grundversorgung, eine Geschäftsstrategie, ein Businessmodell und die Markt- und Kundenentwicklung; alles darauf ausgerichtet und abgestimmt. Also – ein umfassendes, umfangreiches Vorhaben insgesamt; aber wohl erst dann ist ein Unternehmen digital nachhaltig unterwegs.
ICTkommunikation: Welche konkreten Möglichkeiten hat ein Unternehmen, um die eigene digitale Nachhaltigkeit zu beurteilen und diese zu verbessern?
Roger E. Gisi: Schon früh haben wir zur Hilfestellung einer Strategiedefinition und dann eben zu dessen Überprüfung das Modell “Digital Trust – Realisation Model” entwickelt, welches ebenfalls für die Beurteilung herangezogen werden kann. Digital Trust beschreibt die Themen einer gesamten IT-Organisation, die einer Management-Perspektive, die Sicht von Kunden und Bürger mit dem Markt und die Themen von Privacy, Datenschutz und Sicherheit mit dem Vertrauensaufbau zur Digitalisierung. Im Sinne von Notengebung muss eine Organisation sich selbst beurteilen und durch seine gesamten Beziehungen hindurch ein Feedback einholen. Dann ist die Wirkung und Nachhaltigkeit mit den direkten Akteuren und die Chance auf eine hohe Nutzung und Wirkung gegeben.
ICTkommunikation: Die Digitalisierung von Prozessen – sichtbar z.B. bei der Abwicklung von Finanztransaktionen – nimmt zu. Besteht da nicht die Gefahr, dass gewisse Bevölkerungsschichten “den Anschluss” verlieren. Inwiefern stehen da auch die Unternehmen in der Verantwortung, etwa beim Design neuer Produkte und Prozesse?
Roger E. Gisi: Es ist richtig, die Finanz-Transaktionsprozesse sind hochgradig digitalisiert. Auf der anderen Seite sind, gerade bei den Banken, noch viele Prozesse ausserhalb des Kerngeschäftes im “Handbetrieb” unterwegs. So oder so: Die Wirtschaft muss dann eben auch mitziehen. Jüngste, einfache und praktische Beispiele: Die Umstellung des Einzahlungsscheines auf QR-Code, oder die Schweizer Post mit der Vorschrift, die “uralte” elektronische ID/Unterschrift zu nutzen. Damit ernten die Verantwortlichen keine Lobesreden. Es ist durchaus korrekt im Sinne von Datenschutz oder gar Privacy, wenn Kontext-Informationen nicht ungeprüft vertraut werden kann.
Dann muss die Identität als zentraler Vertrauensanker angesehen werden: Wer ist z.B. die Person, die über das geschützte Netzwerk mit dem geschützten Gerät über eine Applikation auf geschützte Daten zugreifen will? Aber genau in diesem Moment der Wahrheit, wenn es um den Vertrauensaufbau zur Digitalisierung, zur Nutzung vertraulicher Daten geht, gerade da riskiert die Wirtschaft, einen Teil der Bevölkerung abzuhängen. Und das manifestiert sich dann wiederum in Negativstimmen zur Digitalisierung. Dabei wären, insbesondere für diesen sensiblen Bereich, neue Lösungen, neue Produkte “digital by design for clients” angesagt, eben aus der Perspektive von Konsument/-innen, des Nutzer/-innen, Bürger/-innen. Oder das alte Thema in der Verwaltung: Für praktisch alle Teilprozesse unserer Behörden füllen wir separate Formulare, Anträge oder gar handschriftlich Zettel aus. Die Steuererklärung, die AHV-Abrechnung, die Lohnausweise und Vermögensnachweise – alle diese Themen laufen heute (meist) noch getrennt, also nicht in einer digitalen Government/Bürger-Plattform.