Mit User-Centered Design gegen Naturgefahren
Die Schweiz schützt ihre Bevölkerung und Sachwerte mit Hilfe einer einzigartigen WebApplikation. Die «Gemeinsame Informationsplattform Naturgefahren für Fachleute» (GIN) macht wichtige Daten einfach verständlich und in Echtzeit verfügbar.
Durch den Klimawandel und die zunehmende Nutzungsdichte steigt das Risiko für Naturereignisse und deren Schadenpotenzial. In der Schweiz befinden sich der Wohnraum von 1,7 Millionen Menschen, Arbeitsplätze von 1,8 Millionen Personen und Sachwerte in Höhe von 840 Milliarden Franken in hochwassergefährdeten Gebieten. Und Hochwasser ist neben Lawinen, Stürmen, Hagel, Erdbeben, Waldbränden und Trockenheit nur eine Art von Naturgefahren.
Komplexe Daten zur Frühwarnung
Neben den Fachleuten der Bundesstellen verfolgen rund 2000 Fachpersonen in Gemeinden, Kantonen, Blaulichtorganisationen und Privatunternehmen laufend die aktuelle Gefahrenlage auf der Plattform GIN. Nur so können sie rechtzeitig wirksame Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung einleiten. Nach dem historischen Hochwasser im Jahr 2005 erkannten die Verantwortlichen, dass eine korrekte Lagebeurteilung bei Naturereignissen oft nur möglich ist, wenn verschiedene Informationen zusammen- fliessen. Bei Hochwasser sind sowohl Pegelstände und Abflussmengen von Flüssen und Seen relevant als auch die erwarteten Niederschläge, die Temperaturentwicklung und die Schneehöhen in den Einzugsgebieten. Eigentlich können die verantwortlichen Beobachter die Situation nur unter gleichzeitigem Einbezug all dieser Informationen realistisch einschätzen. Traditionell wurden diese Daten aber von unterschiedlichen Bundesstellen erhoben und von Exper- tinnen und Experten mit unterschiedlichem Fachwissen jeweils zuerst einzeln ausgewertet und interpretiert. Neu sollte eine gemeinsame Datenbasis und Zusammenarbeit der Experten eine bessere Entscheidungsgrundlage schaffen. Deshalb haben ab 2008 unterschiedliche Naturgefahrenfachstellen des Bundes die Plattform GIN entwickelt.
Datenpool für alle
GIN führt alle relevanten Messdaten, Prognosedaten und Experteneinschätzungen des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), von MeteoSchweiz, des WSL- Institutes für Schnee und Lawinen- forschung (SLF) und des Schweizeri- schen Erdbebendienstes (SED) in einer Plattform zusammen. Zudem empfängt die Plattform Messdaten von Kantonen, Gemeinden und privaten Institutionen. Insgesamt werden beinahe in Echtzeit (Latenz von ca. 3–10 Minuten) Daten von über 1600 Messstationen in der Schweiz und im grenznahen Ausland verarbeitet. Dies ergibt ein Datenvolumen von annähernd 1 Terabyte pro Jahr (das entspricht etwa dem Inhalt von 540'000 Büchern à 500 Seiten).
Die erste Version von GIN von 2010 wurde über die Jahre laufend mit neuen Inhalten und Funktionalitäten angereichert. Zudem weitete sich die Gruppe der Nutzerinnen und Nutzer immer stärker aus. Mittlerweile setzen neben den Fachstellen des Bundes und der Kantone auch immer mehr Naturgefahrenverantwortliche und Lawinenbeobachter der Gemeinden sowie lokale Blaulichtorganisationen GIN ein. Die neuen Nutzerinnen und Nutzer brauchen die Applikation weniger regelmässig und haben oftmals keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Zudem kam es angesichts der gestiegenen Komplexität zunehmend zu Usability-Problemen: Sowohl die Plattform selbst als auch die dargestellten Informationen wurden vermehrt falsch oder gar nicht verstanden.
Benutzerzentriert entwickelt
Das neue GIN wurde mit der Methode User-Centered Design entwickelt, wobei die Nutzenden von Anfang an in den Entwicklungsprozess miteinbezogen werden. Zeix visualisierte auf Basis der Feedbacks der bestehenden Nutzerinnen und Nutzer das neue GIN in einem detaillierten Prototyp. Der Prototyp wurde mit Nutzenden aus unterschiedlichen Gruppen getestet, lange bevor die technische Umsetzung startete. Dadurch stellte das Projektteam sicher, dass die neue Applikation intuitiv verstanden wird und sie die Nutzenden ideal in ihrer täglichen Arbeit unterstützt. Dank den Feedbacks wurde zum Beispiel eine vereinfachte Gefahrenkarte direkt auf der Startseite integriert, die eine sehr schnelle Einschätzung der Gefahrensituation ermöglicht. Zudem wird die Zusammenarbeit zwischen GIN-Nutzenden aller Organisationen erleichtert, indem sie auf der Plattform einfach Dossiers teilen können. Schliesslich wurde viel in die übersichtliche und einfach verständliche Visualisierung der riesigen Informationsmengen investiert: Schweizer Landkarte, interaktive Grafiken und detaillierte Tabellen unterstützen schnelle und richtige Entscheidungen der Fachpersonen. So können Benutzerinnen und Benutzer eigene Erfahrungswerte zu bestimmten Pegelständen in der Applikation hinterlegen, sie selbst einfärben und so direkt auf der Karte darstellen.
Die neue GIN-Web-Applikation ist trotz der grossen Datenmengen in Echtzeit äusserst performant und hochverfügbar (99,9 Prozent). GIN ist heute bereits Vorzeigeprojekt, da es trotz inhaltlicher Komplexität schnell und wirtschaftlich durchgeführt wurde und eine hohe User-Akzeptanz geniesst. Auch international zieht das Projekt die Aufmerksamkeit auf sich. «Auf internationalen Konferenzen besteht immer grosses Interesse an GIN», freut sich die Leiterin der Geschäftsstelle GIN, Sabina Steiner. «Viele Länder haben bei der Naturgefahrenüberwachung ähnliche Probleme wie wir vorher und schätzen den Wissensaustausch.» Dieses grosse Interesse ist erfreulich, zeigt das Projekt doch, dass im Schweizer E-Government auch organisationsübergreifend herausragende Lösungen möglich sind.
Quelle: swiss made software, die ersten 10 jahre – das kompendium
Autor: Gregor Urech, Managing Partner und UX Architect Zeix AG