Vom Randphänomen zum Objekt der Begierde

07.05.2018.

Schweizer ICT Start­ups sind gesuchte Kollaborationspartner und Investitionsziele – für die Schweiz eine neue Situation. Digitalisierung und 30 Jahre Aufbauarbeit haben die Entstehung einer dynamischen Start­up­Szene ermöglicht.

Start-ups sind cool. So cool, dass sich zuweilen auch neue Unternehmensabteilungen oder Tochterfirmen von Konzernen mit dem Begriff schmücken. An den im Herbst stattfindenden Startup Days kommen über 1000 Gründer, Investoren, Vertreter von Grossunternehmen und Supporter zusammen und am St. Galler Start Summit tauchen neben Hunderten von Gründern auch Hunderte von Studenten auf, die Start-up-Luft schnuppern wollen.

Dass Start-ups heute bei Investoren, Grossunternehmen und potenziellen Mitarbeitenden auf so grosses Interesse stossen, hat vier Gründe.

«Grossunternehmen gaben den letzten grossen Schub»

30 Jahre Aufbauarbeit

Ausbildung und Forschung in der Schweiz sind Spitzenklasse. Nur führte dies lange nicht zu wirtschaftlichen Erfolgen. Ende der achtziger Jahre entstehen die ersten Initiativen, die dies ändern wollen. Schon seit 1989 können Jungunternehmen beim Award der W. A. de Vigier Stiftung 100’000 Franken gewinnen. Wegweisend war auch der Wettbewerb «venture», der nun seit über 20 Jahren gezielt Deep Tech-Innovationen fördert. Innosuisse, die heute Coaching, Ausbildungen und Fördermittel für Projekte bietet, ist ebenfalls seit mehr als 20 Jahren im Start-up-Bereich aktiv. Auch in Sachen Finanzierung entstanden damals erste Angebote. Seit 1994 unterstützt die Fondation pour l’Innovation Technologique (FIT) Jungunternehmen im Kanton Waadt mit zinslosen Darlehen. Hinzu kam Venturelab – damals noch «Institut für Jungunternehmen» –, das heute Awards wie die Top 100, venture leaders und die Initiative Venture Kick organisiert und Ausbildungsprogramme durchführt.

Das Schweizer Start-up-Ökosystem besteht unterdessen aus einer Vielzahl von nationalen und regionalen sowie privaten und öffentlichen Initiativen. Auf Startupticker.ch findet man mehr als 100 Schweizer Awards, die Start-ups auszeichnen, und mehr als 50 Schweizer Organisationen und Unternehmen, die Start-ups mit Förderbeiträgen oder mit Krediten zu Sonderkonditionen versorgen.

Die Corporates kommen

Den letzten grossen Schub hat die Szene durch Start-up-Initiativen von Grossunternehmen erhalten. Einer der Pioniere war hier die Swisscom, die schon 2007 mit ihren Corporate Venture Fund gestartet ist und zudem auch regelmässig mit Start-ups zusammenarbeitet oder sie, wie im Fall von Mila, sogar übernimmt. Am sichtbarsten ist wohl die Initiative digitalswitzerland, die über 100 Mitglieder zählt. Sie hat unter anderem den Kickstart Accelerator initiiert und führt 2018 zum ersten Mal Start-up Bootcamps durch, die Jungunternehmen und Konzerne zusammenbringen sollen. Weitere wichtige Initiativen, bei denen Start-ups auf Corporates treffen können, sind MassChallenge Switzerland, die «Fintech Games» von F10 oder auch das Programm des Zürcher BlueLion.

Digitalisierung

Das Interesse der Grossunternehmen kommt nicht von ungefähr. Neue digitale Technologien haben das Potenzial, bewährte Geschäftsmodelle in kurzer Zeit obsolet zu machen. Kontakte zu Start-ups zeigen den Grossunternehmen, was läuft, und bieten die Möglichkeit, mit der Übernahme von Technologien aus Jungunternehmen selbst zu den Gewinnern der Digitalisierung zu gehören.

«Spektakuläre Exits gibt es seit mehr als 20 Jahren»

Besonders viel Potenzial haben Start-ups, die an der Digitalisierung von Schweizer Vorzeigebranchen arbeiten. Dazu gehören konkret die Segmente Digital Health, Fintech, Industrie 4.0 und darüber hinaus B2B-Software, die mit Themen zu tun hat, für die die Schweiz steht, wie Sicherheit, Datenschutz oder Servicequalität. Es sind diese Felder, die das enorme Wachstum bei den Investitionen treiben. Das investierte Kapital in ICT Start-ups hat sich zwischen 2013 und 2017 nahezu vervierfacht und stieg von 93 Millionen Franken auf 372 Millionen.

Erfolge

In der Start-up-Welt sind Exits, Verkäufe von Jungunternehmen an Grossfirmen, oder allenfalls Börsengänge der wichtigste Erfolgsindikator. Und hier hat die Schweiz einiges zu bieten. Schon 2004 wurde mit der Software-Schmiede ISE Integrated Systems ein erstes Spin-off der ETH Zürich an das Silicon Valley Unternehmen Synopsys verkauft – für rund 100 Millionen Dollar. 2006 übernahm Google Endoxon. Der bisher grösste Exit gelang Hybris; für die Übernahme zahlte SAP 2013 mehr als eine Milliarde Euro. Zudem greifen immer wieder bekannte Tech-Konzerne und US-Unicorns in der Schweiz zu: Apple übernahm Faceshift, Intel Lemoptix und Composyst Light Labs. Zuletzt kaufte Magic Leap Dacuda.

Weiteres Wachstum

Exits machen Gründer zu wohlhabenden Business Angels und ziehen Investoren an. Seit dem Jahr 2001 ist die hiesige Investorenszene denn auch laufend gewachsen. Pioniere waren etwa VI Partners und b-to-v, gefolgt von der ZKB, Redalpine oder investiere. 2003 startete CTI Invest, die heutige Startup Invest, die seitdem Hunderte von Start-ups mit Investoren verknüpft hat. Business Angel Clubs wurden professioneller und zahlreicher. Corporates wie Helvetia, SIX oder die Post haben neue Fonds aufgelegt.

Die Voraussetzungen für den Aufbau schnell wachsender, global erfolgreicher Start-ups sind damit geschaffen – das Wachstum kann beginnen.

Autor: Stefan Kyora

Quelle: swiss made software, die ersten 10 Jahre – das Kompendium

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