DIE ZUKUNFT DER ARBEIT: DIE DIGITALE CHANCE DER SCHWEIZ
Digitale Technologien befinden sich unaufhaltsam auf dem Vormarsch, die Automatisierung greift um sich und die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) treiben den Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft zusätzlich voran. Für viele Unternehmen ist heute prioritär, wie sie diese Technologien optimal einsetzen können und wie ihnen die Herausforderung gelingt, Expertise und Fertigkeiten ihrer Mitarbeitenden so zu entwickeln, dass sie optimal auf die neue Arbeitswelt vorbereitet sind. Die vorliegende Studie baut auf der langjährigen Forschung des McKinsey Global Institute (MGI) auf. Sie befasst sich mit der Digitalisierung in allen ihren Formen – digitalen Technologien, Automatisierung und KI – und mit der Zukunft der Arbeit in der Schweiz bis zum Jahr 2030. Im Zentrum stehen die folgenden Erkenntnisse:
- Die Schweiz steht heute vor der doppelten Herausforderung einer alternden Bevölkerung und eines vergleichsweise geringen Produktivitätswachstums (nahezu null seit der Finanzkrise). Digitalisierung, Automatisierung und KI gemeinsam können in hochentwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz bis 2030 für einen dringend benötigten Produktivitätsschub von etwa 1 Prozentpunkt pro Jahr sorgen.
- Die Automatisierung wird die Arbeitsmärkte fundamental umwälzen und die einer Beschäftigung zugrunde liegenden Tätigkeiten stark verändern. Nach unserer Berechnung wird diese Entwicklung zur Schaffung von ungefähr ebenso vielen neuen Arbeitsplätzen führen wie verdrängt werden. Mehr als die Hälfte aller Tätigkeiten lassen sich durch Übernahme und Anpassung vorhandener Technologien schon heute automatisieren. Typische Szenarien, in welchem Zeitraum Technologien in der Regel adaptiert werden, legen nahe, dass bis 2030 etwa die Hälfte des vorhandenen Automatisierungspotenzials auch realisiert werden könnte. Demnach würden bis 2030 rund ein Fünftel bis ein Viertel der Arbeitsaktivitäten in der Schweiz – das entspricht 1,0 bis 1,2 Millionen Arbeitsplätzen – durch Automatisierung ersetzt werden. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ist ein Merkmal moderner Arbeitsmärkte, aber das Tempo, in dem sich dieser Wandel vollzieht, könnte sich verdoppeln. Dabei muss es nicht zu einem Nettoabbau von Arbeitsplätzen kommen, da ebenso viele neue Jobs entstehen könnten: etwa 400’000 Arbeitsplätze direkt in Technologiebereichen (Hardware/Software) oder deren Implementierung durch Unternehmen; weitere 400’000 Arbeitsplätze durch reales Einkommenswachstum, das den Konsum ankurbelt und die Nachfrage nach inländischen Arbeitskräften erhöht.
- Die Auswirkungen auf die einzelnen Wirtschaftsbranchen werden sehr unterschiedlich ausfallen. Die stärkste Verlagerung von Aktivitäten könnte im Einzel- und Grosshandel, in der Industrie, im Finanzbereich und in der öffentlichen Verwaltung stattfinden – d.h. in Sektoren, auf die rund die Hälfte aller Beschäftigten und rund 60 Prozent des Schweizer BIP entfallen. Die meisten Arbeitsplätze könnten im Gesundheitswesen sowie bei technischen und professionellen Dienstleistungen entstehen. Einige Branchen, die stärker von der Verdrängung betroffen sein dürften, schliessen bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Industrieländern schlechter ab und haben entsprechenden Aufholbedarf. So beträgt der Online-Anteil im Einzelhandel in der Schweiz weniger als 8 Prozent, verglichen mit 15 Prozent in Deutschland und 18 Prozent in Grossbritannien.
- Der Anreiz zur Digitalisierung und Automatisierung ist in der Schweiz aufgrund der relativ hohen Löhne bereits heute hoch. Viele Unternehmen sind gut aufgestellt, wenn es darum geht, die digitale Transformation zu meistern. Einige der wettbewerbsfähigsten Unternehmen global sind hierzulande angesiedelt. Doch diese Position muss verteidigt werden. So kann die Schweiz exportbezogene Arbeitsplätze fördern, indem digitale Technologien und Dienstleistungen entweder selbst entwickelt und bereitgestellt oder in den am stärksten globalisierten Sektoren des Landes rasch adaptiert werden: 1,4 Millionen Arbeitsplätze in der Schweiz hängen direkt oder indirekt vom Export von chemischen Produkten, Pharmazeutika, Maschinen, Uhren, Finanzdienstleistungen, Tourismus sowie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ab. Zugleich muss die Schweiz darauf achten, dass ökonomische Erträge in die Wirtschaft reinvestiert werden. Nur so können ein integratives Wachstum und eine Entwicklung sichergestellt werden, in der sich Produktivitätswachstum in höherem Konsum, Investitionen und einer robusten Jobnachfrage niederschlägt – und nicht in einer Akkumulation von Wohlstand an der Spitze. Glücklicherweise gibt es in der Schweiz – im Gegensatz zu den USA – noch wenig Anzeichen für eine rückläufige Lohnquote oder eine übermässige Öffnung der Lohnschere.
- Im Zeitalter von Digitalisierung und Automatisierung und angesichts der sich rasch vollziehenden Veränderungen auf den Arbeitsmärkten muss sich die Schweiz zwei wesentlichen Herausforderungen stellen: (1) Beschleunigung der digitalen Transformation und (2) Aus- und Weiterbildung.
- Zum einen müssen Unternehmen die digitale Transformation entschlossener in Angriff nehmen und Geschäftsmodelle, „Customer Journeys“ und Geschäftsprozesse nach einer „Digital First“ – Strategie umgestalten. Sie müssen digitale Abläufe und digitales Marketing auf Basis robotischer Prozessautomatisierung und „Advanced Analytics“ entwickeln und ihre Aktivitäten so organisieren, dass sie die digitale Transformation unterstützen. Unternehmen, die nicht digitalisieren und automatisieren, riskieren, von proaktiven etablierten Unternehmen und neuen, digital agierenden Wettbewerbern aus dem Markt gedrängt zu werden. Politische Entscheidungsträger können die Digitalisierung beschleunigen, indem sie Wirtschaftssektoren nicht schützen, sondern für solche Disruptionen öffnen.
- Zum anderen haben Schweizer Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt einen hohen Bedarf, Arbeitskräfte auf die in Zukunft gefragten Fähigkeiten vorzubereiten. Die Schweiz verfügt derzeit über hoch qualifizierte Talente, darunter gut ausgebildete Einwanderer, und ein starkes Bildungssystem. Es zeichnet sich jedoch nachfrageseitig eine tiefgreifende Kompetenzverschiebung ab. Nach unserer Schätzung könnte die Nachfrage nach Mitarbeitenden in Bereichen, die einfache kognitive oder körperliche und manuelle Fähigkeiten erfordern, um etwa 20 Prozent zurückgehen. Umgekehrt wird der Bedarf in Bereichen, in denen soziale, emotionale und technologische Kompetenzen gefragt sind, um rund 20 Prozent respektive bis zu 50 Prozent steigen. Dieser Übergang wird sich nicht einfach gestalten, zumal die berufliche Mobilität bei den am stärksten Betroffenen besonders gering ist. Diese Kompetenzverschiebung wird die Rate, mit der Arbeitskräfte und Kompetenzen aus dem Markt fallen (z.B. durch Pensionierung), übertreffen. Dazu kommt, dass die Schweizer Hochschulen nur rund 3’000 Technologieabsolventen pro Jahr verzeichnen – weniger als die Hälfte des geschätzten Bedarfs im spezialisierten Technologie- und IT-Bereich. Die Bildungsanbieter sollten ihre Angebote noch stärker auf die Vermittlung technologischer und emotionaler Kompetenzen sowie auf lebenslanges Lernen ausrichten. Führungskräfte weisen darauf hin, dass es bereits heute nicht ausreichend Bewerbungen für die nachgefragten Berufsprofile gibt. In der vierteljährlichen Panelerhebung von McKinsey im November 2017 gab fast die Hälfte der Führungskräfte an, sich auf die Weiterbildung ihrer bestehenden Belegschaft zu konzentrieren, anstatt Mitarbeiter von aussen anzuwerben. Führende Unternehmen haben bereits mit umfangreichen Umschulungsprogrammen begonnen. Und auch in Zukunft wird Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften eine starke Rolle spielen, um den sich ändernden Bedarf an Fähigkeiten zu decken.