365 Tage Messe? «Digitalisierung wird uns rechts überholen»

23.11.2022.

Ein kundenspezifisches, zielgerichtetes Matching von Messeveranstaltern, Ausstellern und BesucherInnen ist die logische Konsequenz von heute verfügbaren Daten – und zukunftsweisend. Roger Gisi, Gründer von DigitaleSchweiz, macht im smartville.digital-Interview Vorschläge zur Nutzung von «smart data» für eine digital verlängerte 365-Tage-Messe.

Quelle: smartville.digital

Roger Gisi, Du bist der Gründer von DigitaleSchweiz. Was ist Deine Mission?

Die Krise zeigt die Bedeutung digitaler Technologien für Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft. Sie ist ein Weckruf, die Digitalisierung massiv, aber sicher voranzutreiben.

Auf der einen Seite ist Digitalisierung in aller Munde und auch von der Politik im Rahmen verschiedener Strategien offiziell eine beschlossene Sache. Aber es fehlt rundum an konkreten Schritten. Die Initiative «DigitaleSchweiz» verfolgt die Aufgabe, die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz dank einer ganzheitlichen und vernetzten «Digital 360-Grad»-Betrachtung anhaltend zu fördern. DigitaleSchweiz fördert die wirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzung der Möglichkeiten, welche die Digitale Revolution und Transformation eröffnet. Und natürlich bieten wir Empfehlungen und Hilfestellung an und zu dessen Umsetzung das Modell «Digital Trust – Realisation Model» entwickelt.

Wofür steht DigitalTrust?

«DigitalTrust» beschreibt die Themen einer gesamten Unternehmens- und IT-Organisation, die einer Managementperspektive, die Sicht von Kunden und Bürger mit dem Markt und die Themen von Privacy, Datenschutz und Sicherheit mit dem Vertrauensaufbau zur Digitalisierung. Im Sinne von Notengebung muss eine Organisation sich selbst beurteilen und durch seine gesamten Beziehungen hindurch ein Feedback einholen. Damit ist die Wirkung und Nachhaltigkeit mit den direkten Akteuren und die Chance auf eine hohe Nutzung und Wirkung gegeben.

Welche Ziele verfolgt DigitaleSchweiz?

Unsere Ziele sind es, anhaltend öffentliche und mediale Aufmerksamkeit zu generieren, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Notwendigkeit der digitalen Transformation zu schaffen, Neugier und Interesse zu wecken und das Wissen von und für die Unternehmen und die Öffentlichkeit laufend zu erweitern. Wir wollen die Einstellung zur Digitalisierung verbessern und ein positives, chancenorientiertes Meinungs- und Wirkungsklima schaffen.

Digitale Schweiz folgt einem offenen, kollaborativen Modell und steht allen Sektoren und Anwendungsfeldern offen. Wir sind mit Enthusiamus und großem Engagement für «Digital 360-Grad» unterwegs, und immer mit dem Prinzip «Client first, digital first!»

Was braucht die Schweiz, um digital «smart» zu werden?

Es führt kein Weg an der digitalen Transformation vorbei – weder für den kleinen Handelsbetrieb, den Handwerker, die Bäckerei, den Hotel- und Gastrobetrieb, für das internationale Industrieunternehmen oder auch für die gesamte Messewirtschaft. Der Weg liegt in der Akzeptanz des Phänomens, dass in der heutigen, digitalisierten Welt nichts so beständig ist wie die Veränderung oder vielleicht sagen wir es etwas weniger dramatisch, die Erneuerung.

Digitalisierung beginnt im Kopf, dann beim Unternehmen, auch wenn dieser Prozess erst einmal Ängste auslösen, sich aber schnell in einen Prozess mit großen Chancen entwickeln kann.

Unter «smart» verstehen wir raffiniert, einfach, umfassend, schnell, fähig, angepasst, intelligent. Wir suchen helle Köpfe für nutzbringende Lösungen. Dies alles mit Eigenschaften wie echt schweizerisch, angemessen, nachhaltig, flexibel, wirksam gepaart.

Was treibt Dich zum Thema digitale Transformation um und lässt Dich nicht schlafen?

Die notwendige Leidenschaft, täglich die Herausforderung «digital» anzunehmen, sie umzusetzen, dafür in Wirtschaft und Verwaltung als Motivator aufzutreten – das treibt mich um. Sie erfordert umfassendes Management, Kompetenzen in den Einzelthemen und eine gesunde Portion Idealismus.

Was mich auch beschäftigt ist der Umstand, dass Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung leider immer noch der Meinung sind, dass Digitalisierung mehr Hype als Notwendigkeit sei, dabei ist sie uns schon längst am Überholen. Aber weder Transformation noch Digitalisierung sind neue Phänomene. Beide sind nur die konsequente Fortsetzung der Industrialisierung mit den heutigen, technologischen Machbarkeiten – allerdings mit höherem Tempo und in einer globalisierten Welt, in der praktisch alles mit allem vernetzt wird.

Mein großer Hoffnungsträger sind aber die mittlerweile vielen tausend Startups quer durch die schweizerische Wirtschaft hindurch und ich hoffe dass sie sich mit Ihren Produkten, Lösungen und Prozessen durchsetzen und nicht von den Tech-Giganten geschluckt werden.

Der Mergers & Acquisitions Profi Björn Kempe mit eigenem MICE-Anlagefonds kritisiert «Die vielen Messegesellschaften in Europa sitzen auf Millionen von Daten – aber diese werden nur ein Mal im Jahr genutzt» – wenn Messe ist. Wie beurteilst Du diese Aussage?

Damit bin ich einverstanden.

Mehr noch. Intelligent wäre es, mehr Langfristigkeit in der Messekommunikation anzustreben. Das kann dahin führen, dass eine Messe ihre Themen, Trends und eben Veränderungen das ganze Jahr über kommuniziert, ihre Angebote aktiv hält, sie nutzbringend bewirtschaftet und an die direkten und indirekten Kunden gemäß deren individuellen Bedürfnissen kommuniziert.

Aber allein schon die Daten zu bewirtschaften ist eine große Aufgabe. Es geht in erster Linie um eine nachhaltig wirksame und beidseitig zufriedenstellende Kundenbeziehung. Wieso sollte diese nur an zwei respektive wenigen Tagen im Jahr gepflegt und genutzt werden?

Jeder Kunde kauft zwar letztlich von Menschen – was ja für die Messe-Interaktion spricht – was aber die Verantwortlichen nicht davon abhalten sollte, ihr Angebot und ihren Kundenkontakt um beispielsweise 363 Tage zu erweitern, zu intensivieren, um Kaufentscheide auch zwischen dem Messekalender zu katalysieren. Damit wird auch das Interesse an der nächsten Messe (zur Erinnerung: nach der Messe ist vor der Messe!), aber auch an neuen Modellen, verbesserten Produkten und so weiter hoch gehalten. Da müssen sich die Verantwortlichen dringend dem «Orchester Digital» annähern, es annehmen und proaktiv für ihre Kunden umsetzen.

Was empfiehlst Du Messeveranstaltern als angemessener Weg für ihr Datenmanagement?

Mit der Digitalisierung verfügen wir heute über ein umfassendes, viel größeres Orchester an Marketing-, Verkaufs- und Interaktionsinstrumenten. Darin spielt ein wirksames Datenmanagement eine große Rolle. Dass Kundenzentrierung und dann Customer Experience bei Unternehmen und Verwaltungen einen großen Nutzen bringen kann ist ja längst bekannt.

Ein kundenspezifisches, zielgerichtetes Matching von Messeveranstaltern, Ausstellern und BesucherInnen ist die logische Konsequenz der heute verfügbaren Daten – und zukunftsweisend. Das muss aber wie erwähnt offen, kollaborativ, auf Nutzen der Zielkunden ausgerichtet, innovativ und eben auch smart angegangen werden.

Was kann digital, das analog nicht kann? Und was kann analog, das digital nicht kann?

Konvergenz ist das Schlagwort. Also umfassend miteinander, ergänzend in Ökosystemen denken und handeln – nicht gegeneinander operieren, das ist intelligent, auch für die Messewirtschaft.

Interview Urs Seiler

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