Die Mitarbeitenden der Zukunft: Generalisten, Vernetzer, Pioniere

10.12.2021.

Anne M. Schüller

Wir stecken mittendrin im größten Wandlungsprozess aller Zeiten. Dringender als jemals zuvor werden nun Talente gebraucht, die die Player der Wirtschaft mit multiperspektivischem Denken und Handeln in die Zukunft führen. Sind diese in den Unternehmen aber tatsächlich erwünscht und vorhanden?

„Wir nähern uns einer postdisziplinären Ära, in der die einzelnen Fachgebiete immer weniger relevant werden und ihre Vernetzung untereinander an Bedeutung gewinnt“, erklärte Ulrich Weinberg, Direktor der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut kürzlich in der Wirtschaftswoche. Hierfür werden Menschen gebraucht, die Verbindungen schaffen, Separiertes interdisziplinär zusammenbringen, divergierende Interessenlagen synchronisieren und Wege ins Neuland ebnen.

Dazu zählen auch Koordinatoren, die das Zusammenspiel zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz organisieren und Mensch-Maschine-Interaktionen geschmeidig machen. Firmenintern sind technologische Brücken zu bauen, weil die Digitalisierung alle betrifft, sie lässt sich nicht in eine Abteilung sperren. Junge Digitalexpertise und gutes altes Erfahrungswissen müssen ineinander verwoben werden. Die verschiedenen internen Innovationsprojekte brauchen verbindende Elemente. Partnerschaften zwischen Alt- und Jungunternehmen müssen sich sinnvoll zusammenkoppeln.

Alles, was zum Markt hin passiert, muss crossfunktional abgestimmt werden. Eine typische Customer Journey, die Kaufreise des Kunden, verläuft ja immer quer durch die Unternehmenslandschaft über mehrere Abteilungsgrenzen hinweg. Sie verlangt eine den Kundeninteressen dienende bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Echte Marktorientierung erreichen Unternehmen also nur dann, wenn sie nicht länger im Silodenken verharren. Vielmehr müssen sie ihre Talente in interdisziplinären Teams bündeln und selbstorganisiert an gemeinsamen Aufgaben arbeiten lassen.

Generalisten und Brückenbauer: fortan dringend gebraucht

Die Interdisziplinären und Horizontal-durch-das Unternehmen-Agierer spielen zunehmend eine entscheidende Rolle. „T-Shaped“ werden solche Personen bisweilen genannt. Symbolisiert durch das T vereinen sie in sich die Fähigkeiten von Spezialisten und Generalisten. Sie sind im Weitwinkel-Modus unterwegs. Neben ihrer eigentlichen Expertise haben sie vielfältige fachübergreifende Interessen, so dass sie ganzheitlicher handeln und multitalentiert einsetzbar sind. Sie haben Kompetenzen in mehreren Arbeitsfeldern und denken in großen Kreisformationen.

Dort, wo ein Experte nur Ausschnitte sieht, bringen sie das Beste aus vielen Bereichen zusammen. Sie haben ein gutes Gespür für die Komplexität der neuen Wirklichkeit und können Zusammenhänge besser erkennen. Sie agieren wie Brückenbauer, die das Wissen und Können von heute mit der Zukunft verbinden. Experten denken sich tief in ein Thema hinein. Generalisten hingegen denken breit. Ihnen kann es gelingen, die besten Ideen von innerhalb und außerhalb des Unternehmens miteinander zu kombinieren. Innovationssprünge in ganz neue Dimensionen werden so möglich.

Multiperspektivisches Denken und Handeln ist unerlässlich

Eine umfassende Erneuerung braucht multiperspektivisches Denken und Handeln. Hierfür sind Vernetzer vonnöten, die Neugier, Forscherdrang und Experimentierfreudigkeit mit Mut, Biss und Durchhaltevermögen kombinieren, um auf unbekanntem Terrain triumphieren zu können. Zudem brauchen die Unternehmen Talente, die sich als Vorreiter und Nonkonformisten, als Pioniere und ambitionierte Zukunftsgestalter ins Neuland wagen, dorthin, wo noch niemand war.

Insofern stellt sich den Unternehmen zunächst folgende Frage: Wieviel von solch neuem Denken und Tun kann und will die Organisation denn tatsächlich verkraften? Bislang haben Personaler gemeinsam mit den Fachabteilungen ja vor allem nach Bewerbern gesucht, „die gut zu uns passen“. Klar muss der „Cultural Fit“ der Neulinge stimmen. Doch damit meint man oft in Wahrheit Mitarbeiter:innen, die vorhersehbar „funktionieren“ und keine Probleme machen.

Etwas mehr Mut: Mit Konformisten kommt man nicht weit

Zwar gibt der Text einer Stellenanzeige gern vor, man suche explizit nach Kandidaten mit frischem Denken und forschem Handeln. Aber dann: Die Biografie braucht Geradlinigkeit. Aus Arbeitszeugnissen liest man heraus, wie sich jemand einfügen kann. Branchenerfahrung ist meistens ein Muss. Und überhaupt: So quer, so schräg, so unkonventionell, das dann bitte doch lieber nicht. Es könnte die betriebliche Ordnung stören. Da bleiben die Türen für nonkonforme Menschen zur Vorsicht verbarrikadiert.

Doch interne Monokulturen haben im digitalen Sturm, wie die Monokulturen in unseren Wäldern bei einem Orkan, nicht den Hauch einer Chance. Nehmen wir eine weitere Anleihe bei Mutter Natur: Sie produziert nicht das immer wieder Gleiche durch Klonung, sondern Neues durch Paarung. Die Durchmischung von eigenem mit fremdem Erbmaterial führt nämlich dazu, dass robustere Nachkommen entstehen. Genetische Vielfalt ermöglicht es einer Spezies, sich besser an wandelnde Umstände anzupassen.

Suchen und finden: Vorwärtsdenker und Zukunftsgestalter

Vorwärtsdenkende Zukunftsgestalter mit breit aufgestellten Mindsets, die muss das Recruiting finden. Suchen Sie also nicht nur nach Leuten, die bloß die Position ausfüllen können, die gerade besetzt werden soll. Suchen sie nach Generalisten, die im Zusammenwirken mit Spezialisten den entscheidenden Unterschied machen. Ihre heterogenen Praxiserfahrungen, ihre diversen Fachkenntnisse und ihr weitläufiger Bildungshintergrund verschaffen den Unternehmen eine breite Palette möglicher Vorgehensweisen. Sie beugen der Betriebsblindheit vor. Sie sorgen für eine Frischzellenkur, für Blutauffrischung und Überkreuzbefruchtung.

Doch siehe da: Standardisierte Bewerbungsgespräche sind noch immer die Norm. Verhält sich ein Kandidat wie erwartet, winkt man ihn durch. Verhält er sich anders als allgemein üblich? Ein erstes Indiz für späteren Nonkonformismus! Das könnte Ärger geben. Also dann lieber weg mit ihm. Gefahren bringen auch die im Recruiting zunehmend eingesetzten Algorithmen. Diese selektieren, weil man sie mit entsprechendem Lernmaterial trainiert, Klone der Kandidaten, die in früheren Bewerbungsprozessen erfolgreich waren.

Assessments: Trimm-Stationen für Stromlinienförmigkeit

Schauen wir weiter: In Assessment-Centern bestehen die Kandidaten, die das, was in Assessment-Centern verlangt wird, gut können. Diejenigen aber, die mit anderen als den vorgesehenen Lösungen kommen, die fallen durch. Auch in Development-Centern geht es bei den vorgegebenen Aufgaben vor allem darum, anerkannte oder erwünschte Ergebnisse abzuliefern. Beides sind Trimm-Stationen für Stromlinienförmigkeit.

Sehen wir noch kurz im Onboarding vorbei. Was dort passiert? Sogleich wird der/die Neue mit den „richtigen“ Verhaltensweisen vertraut gemacht und eingenordet. „Die Anforderungen, die ihr an uns junge Leute stellt, sind enorm: ein abgeschlossenes Studium, beste Noten, Auslandserfahrung, ein breites Wissen, Kreativpotenzial. Sind wir dann bei euch, werden wir als Erstes zurechtgestutzt und sollen uns an haarklein vorgeschriebene Abläufe halten“, so ein junges Top-Talent desillusioniert bei einer HR-Konferenz.

Mit Neudenkern und Pionieren gelingt der Sprung nach vorn

Die zunehmende Vernetzung ganzer Systeme und die hohe Dynamik der Märkte erfordern vor allem Menschen, wie ich sie eingangs ausführlich beschrieben habe: Generalisten, die wandelbar und in der Lage sind, multiperspektivisch zu handeln. Konnektoren, die die entscheidenden Fäden miteinander verbinden. Talente, die sich als Nonkonformisten, als Bahnbrecher und ambitionierte First Mover ins Neuland wagen. Nur so werden die Anbieter im Wirtschaftsgeschehen der Zukunft eine maßgebliche Rolle spielen.

Wie solche Menschen ticken, wie man sie findet und im Unternehmen zur Hochform bringt, das habe ich in „Querdenker verzweifelt gesucht – Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt“ ausführlich beschrieben. Darin geht es natürlich nicht um die „Sogenannten“ auf der Straße, sondern um die wahren, echten, konstruktiven Ideengeber und Zukunftsgestalter, die der Menschheit zu allen Zeiten den Fortschritt brachten.

Quelle: linkedin.com

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