Ohne Risiko kein Ertrag!
Prof. Dr. Nils Hafner – Professor an der Hochschule Luzern.
Im Customer Experience Management geht es ja darum, dem Kunden nachhaltig Erlebnisse zu bieten, die zu einer Weiterempfehlung durch den Kunden führen. Dabei geht es im Kern darum, die Erwartungshaltung des Kunden systematisch zu übertreffen. Nur: was sind Kundenerwartungen, wie entstehen sie, wie kann man diese steuern und welche Risiken sind damit verbunden? Und welchen Ertrag bringt das?
Kunden haben Erwartungen. Eigentlich eine Riesenfrechheit. Und sind nur zufrieden, wenn diese Erwartungen auch erfüllt werden. Sie vergleichen andauernd Erwartungen mit ihren Wahrnehmungen und ziehen ihre Schlüsse. Wo kommen diese Erwartungen bloß her?! Genau das fragen sich Wissenschaftler seit über 40 Jahren. Inzwischen haben sie das auch recht genau untersucht.
Erstens resultieren Erwartungen aus Bedürfnissen. Kunden möchten ihre Bedürfnisse erfüllen und suchen dafür Anbieter. Nur gibt es dummerweise heute für fast jedes Kundenbedürfnis gleich mehrere Anbieter. Da ist es praktisch, dass Erwartungen auch geweckt werden können. Die Kommunikation unseres Unternehmens ist ein zweiter (von insgesamt vier) Einflussfaktoren auf die Erwartungen von Kunden. Das, meine lieben Leser, ist aber dann auch schon die gute Nachricht dieses Artikels: Erwartungen kann man mit gezielter Kommunikation beeinflussen.
Der Vergleich zweier Fluggesellschaften zeigt das ganz wunderbar. Airline Nr. 1, sagen wir: die Swiss, beantwortet eine eingehende E-Mail automatisiert wie folgt: „Sehr geehrter Kunde, besten Dank für Ihre E-Mail, wir werden diese so schnell wie möglich beantworten.“ Airline Nr. 2, sagen wir: Singapore Airlines, antwortet auch automatisch: „Sehr geehrter Kunde, besten Dank für Ihre E-Mail, wir versprechen Ihnen, diese innerhalb von drei Tagen zu beantworten.“ Die Swiss antwortet binnen 36 Stunden, Singapore innerhalb zwei Tagen. Was meinen Sie: Wer hat die zufriedeneren Kunden? Natürlich Singapore Airlines, denn das Unternehmen hat die Erwartungen seiner Kunden gezielt gesteuert und so rein handwerklich Zufriedenheit generiert.
Dritter Einflussfaktor sind Erfahrungen – und zwar Erfahrungen mit dem Unternehmen, an das man Erwartungen hegt, sowie dessen direkter und indirekter Konkurrenz. Hat man einmal eine schlechte Erfahrung gemacht, erwartet man erneut eine schlechte Erfahrung. Menschen sind so. Umgekehrt gilt das natürlich auch für gute Erfahrungen. Und das ist der Grund, warum man sich zufriedene Kunden durchaus kurzfristig kaufen kann, solch ein Vorgehen aber langfristig gesehen sehr teuer werden kann. Dies belegt auch das Kernproblem, das entsteht, wenn ein Unternehmen nicht mit seinen Rabattierungsinstrumenten umgehen kann. Nehmen wir an, ein Kunde will ein bestimmtes Produkt erwerben. Er hat den Preis recherchiert, seine Erwartungshaltung ist gesetzt. Nun bietet ihm der Verkäufer ungefragt einen Rabatt von 25 Prozent an. Der Kunde ist begeistert, seine Erwartungen wurden übertroffen. Welchen Preis erwartet er beim nächsten Mal? Wie wird er reagieren, wenn er beim nächsten Mal diesen Preis nicht bekommt? Was bedeutet das für die Beziehung? Auch hier kann das Unternehmen also durch konsistentes erwartungsgerechtes Verhalten die künftigen Erwartungen beeinflussen.
Der vierte und letzte Einflussfaktor auf die Kundenerwartungen ist die Reputation des Unternehmens oder die Mundpropaganda. Was sagen andere über mein Unternehmen und meine Leistungen? Gerade in Zeiten von Social Media hat Mundpropaganda einen enormen Einfluss auf Kunden, schließlich geht es bei den meisten Käufen ja auch um soziale Akzeptanz. Und bei einer hohen Markt- und Werbesättigung kann es entscheidend sein, wer aus meinem Freundeskreis den virtuellen Facebook-Daumen hebt oder senkt.
All diese vier Einflussfaktoren – die Bedürfnisse, die Unternehmenskommunikation, die Kundenerfahrungen und die Meinung Dritter – tragen zur Erwartungshaltung von Kunden bei. Dabei ist der Mix aus diesen Faktoren durchaus individuell. Dem einen sind die Meinungen seines Umfelds halt wichtiger als dem anderen, der sich vor allem auf seine Erfahrung verlässt, während ein Dritter vielleicht einfach nüchtern die Versprechen von Unternehmen gegeneinander und gegen seine Bedürfnisse abwägt.
Jetzt stellt sich aber die Frage, wie Unternehmen im digitalisierten Kundenservice ein Erwartungsmanagement so gestalten könne, dass tatsächlich Calls reduziert werden. Das hat primär damit zu tun, welche Master-Kennzahl man zur Steuerung des Kundenservice-Centers heranzieht. Seit Jahren plädieren wir dabei aufgrund der jährlichen Auswertung von KPIs von mehr als 200 Call Centern im Service Excellence Cockpit für die First Contact Resolution Rate, da man als Manager dadurch die Entwicklung nicht wertstiftender Kontakte aufspüren kann.
Es geht nun darum, entweder im ersten Gespräch klar mit dem Kunden zu vereinbaren, was an Folgeaktivitäten aus dem Kontakt resultiert. Muss beispielsweise ein Vertrag angepasst werden, kann dem Kunden im Nachgang der neue Vertrag per Mail zugestellt werden. Oder er bekommt ein SMS oder (noch besser) eine Whatsapp Nachricht, dass sein Auftrag umgesetzt wurde. Gleiches gilt für Bestellungen aller Art inklusive einer Auftragseingangs- und Versandbestätigung. Je besser der Kunde über die Erledigung seines Anliegens auf dem Laufenden gehalten wird, um so weniger wird er anrufen. Gerade E-Commerce Unternehmen wie Amazon oder in der Schweiz Digitec machen das beispielsweise vorbildlich.
Aber, ein modernes Erwartungsmanagement kann gerade im Kontext CXM noch viel weiter gehen. So kann man dem Kunden an den einzelnen Touchpoints aufzeigen, wie lange die Wartezeit auf eine Antwort am Telefon, per Email, per Chat oder Messenger eigentlich dauert. So kann sich der Kunde darauf einstellen und passt seine Erwartungshaltung an. Doch wenn Sie jetzt denken: «Klasse, Hafner, und dann kommt unsere Rechtsabteilung und sagt, dass wir dem Kunden nichts versprechen dürfen.» dann sind sie sicher nicht allein damit. Dazu bleibt mir nur folgendes zu bedenken zu geben: Möchte Sie eine Beziehung mit jemandem, der Ihnen nichts verspricht? Noch nicht einmal einen Kontakt innert nützlicher Frist? Natürlich stellt jedes Versprechen ein Risiko dar. Doch ist heute beispielsweise jedem Kapitalmarktteilnehmer klar: Ohne Risiko kein Ertrag. Und das gilt auch für die Kundenbeziehung